„Langsam musst du aufpassen, dass es mit deinem Gewicht nicht in die falsche Richtung geht.“ Ein ganz beiläufiger und wahrscheinlich sogar gut gemeinter Hinweis, der für mein 14-jähriges-Ich, eine ganz fundamentale Kränkung bedeutete! Familiäre Schicksalsschläge, schlechte Noten, eine von Unsicherheit geprägte Pubertät und zu guter Letzt dieser kleine Seitenhieb … Rückblickend war es wohl eine Kombination all dieser Faktoren, welche den Startschuss für einen elf Jahre andauernden Krieg gegen meinen Körper bedeutete.
Nach meiner Ausbildung und zwei Jahren auf der BOS machte ich einen Bachelorabschluss in Wirtschafts- und Werbepsychologie. In den vergangenen zwei Jahren leitete ich die Redaktion eines Fitnessmagazins und interviewte interessante Trainern, Therapeuten, Ärzte und Wissenschaftler. Parallel arbeite ich im Marketing für ein Start-up, das sich auf digitales Athletik- und Präventionstraining spezialisiert hat. Es gab nie den „EINEN MOMENT“, der alles veränderte und trotzdem stellte ich in der letzten Zeit fest, dass ich meine Sicht auf Fitness und Leistungsfähigkeit grundlegend verändern könnte. Heute lerne ich zunehmend MIT meinem Körper zu trainieren, anstatt GEGEN ihn.
Aber von vorn: Im Alter von 15 zog ich sehr unzufrieden, aber sehr motiviert – bewaffnet mit Laufschuhen und Runtastic – in die Schlacht gegen mich selbst. Aus anfänglichen 3 km wurden schnell 5, 10 und 12 Kilometer. Jeden Tag. Schon bald gab es Erfolge. Es fing an, Komplimente zu hageln, für meinen Körper, für meine großartige Disziplin. Ich wollte mehr und trainierte immer exzessiver: #cravingforcompliments
Auf meinem ersten Gewichtsplateau erkannte ich, dass das Laufen alleine nicht mehr ausreichte, um mein Ziel zu erreichen. In der Konsequenz begann ich einfach weniger zu essen. Für jemanden, der Erzählungen zu Folge, als Kind aber auch mal problemlos sechs Krapfen (!!!) verdrückt hat, ist das natürlich keine Dauerlösung. 😉 Long story short: Ich stolperte geradewegs in eine Bulimie. Eine toxische Freundin, die dir sagt: „Iss einfach alles was du willst, so viel wie du willst. Du kennst ja den Ausweg!“ Super, ich hatte nun eine Geheimwaffe, um mir genau die Kontrolle zurückzuholen, die mir aus verschiedenen Gründen irgendwie entglitten war. Kurz darauf begann ich mit Fitness. Nun wollte ich nicht mehr schlank sein, sondern definiert. Ich trainierte, gab unzählige Summen für Carbblocker, Fatbocker, Entschlackungskuren und anderen Bullshit aus. Geschichten wie meine liest man vor allem im Social Media Umfeld heute immer öfter. Ein sehr populäres Beispiel ist das von Fitnessikone Sophia Thiel, welche unlängst wie die sprichwörtliche Sau durch die komplette Medienlandschaft getrieben wurde. In einem aktuellen Interview sprach sie u. a. darüber, dass ihr Aufritt auf einer bekannten Fitnessmesse gecancelt wurde, weil ihre FORM nicht gut genug war. Gerade im Sport- und Fitnessumfeld ist die Anzahl an Personen mit einem gestörten Essverhalten hoch, was wohl wenig überraschend ist. Lukas Maher (@systemischegesundheit) ist Psychologe sowie Psychologischer Psychotherapeut i. A und forscht in seiner Doktorarbeit zum Thema „Essstörungen bei Männern im Sport“.
Nicht immer muss es sich um Extremfälle wie Anorexie, Bulimie oder eine Binge-Eating Störung handeln. Aber wenn Essen und Sport fundamental das Leben bestimmen und andere Dinge zunehmend in den Hintergrund rücken, ist Vorsicht geboten. Deshalb sollte man es sich eines immer wieder vor Augen führen, wenn man die strahlenden Instagram-Schönheiten bewundert: Ein „schöner“ Körper ist nicht automatisch gleichzusetzen mit einem gesunden Körper!
Ein gesunder Körper setzt meiner Meinung nach ein gesundes Mindset voraus: deshalb möchte ich großartige Accounts auf Instagram empfehlen, die sich auf psychischer Gesundheit und Mindset auseinandersetzen:
- systemischegesundheit
- schnupfen.im.kopf
- fundamentalkraft
- hybridpsychologist
- psychotherapie.essstoerungen
- maja.powergirl
Fitness ist für viele – wie auch für mich – der Weg zum perfekten Körper. Aber was ist denn eigentlich an einem Körper perfekt, der zwar ganz gut aussieht, dem es aber eigentlich an allem fehlt? An Nährstoffen, an Erholung. Der nur funktioniert, weil der Wille so stark ist, dass er jedem Warnsignal zum trotz Leistung bringt.
Es benötigte ganze elf Jahre, einen auf Essstörungen spezialisierten psychologischen Coach sowie unzählige Interviews und Gespräche mit großartigen Trainern, Physiotherapeuten und Sportlern, um an einem Tag auf einem abgelegenen Berggipfel zu sitzen und zu denken: „Wie privilegiert bin ich eigentlich, dass mich meine Beine hier so problemlos auf 2000 Höhenmeter tragen?“
Ein gesunder Körper, die Voraussetzung für Leistung
Als ich mich nach dem Lockdown in einem neuen Fitnessstudio anmeldete, hatte ich erstmals ganz neue Anforderungen an meinen Trainingsplan: Ich will mich fit fühlen, leistungsfähig sein und dank des Krafttrainings auch mein Verletzungsrisiko für Outdoorsportarten reduzieren. Schließlich möchte ich nichts mehr, als bis ins hohe Alter überall zu Fuß oder mit dem Rad dort hinkommen, wo es mich hinzieht. Ich möchte entlegene Berggipfel abseits der Gondelgebiete besteigen. Meinem Entdeckerdrang nachgehen so lange es geht. Bei einer Wanderung in Innsbruck sah ich unzählige Männer zwischen 60 und 80, die problemlos mit dem Rad (ohne E-Bike) oder wie wir zu Fuß die Seegrube (1.900 hm) erklimmen. Einer überholte uns sogar lachend mit dem frechen Seitenhieb „Na Mädels – seids scho müd?“
Ich möchte mich nicht davon frei sprechen, dass mir ein gewisses optisches Gesamtbild, meine Pace beim Laufen und ein allgemeiner Trainingsfortschritt weiterhin wichtig sind, aber – und das ist der Punkt – nicht mehr um jeden Preis. Heute mache ich Sport um meinem Körper etwas gutes zu tun, nicht um ihn auszubeuten. Schließlich möchte ich mit 80 auch lachend an den Mittzwanzigern, die gerade denken, sie haben die Welt verstanden, vorbei ziehen und sagen, „Na – seids scho müd?“