Es ist bewölkt und windig, kein Wetter, bei dem man besonders gerne vor die Tür geht. Obwohl es jeden Moment anfangen könnte, zu regnen, muss ich unbedingt sofort raus.

Ich setze einen Fuß vor den anderen, atme ein und aus. Überquere die Straße, laufe vorbei an den Häusern, weg vom Wohngebiet. Vorbei an Gärten laufe ich über den harten Asphalt bis ich Wiesen und Bäume sehe. Wie ich an einem Feld grüner Gerste vorbeijogge, die mit dem Wind tanzt und durch die sanfte Bewegung wie ein riesiger weicher Teppich aussieht, atme ich auf. Im Vorbeilaufen streiche ich mit der Hand über die Gräser. Ich setze einen Fuß vor den anderen, atme ein und aus. Dabei spüre ich den Boden unter meinen Füßen, fühle jeden Stein. Sehe in die Wolken und auf die Felder, die mich umgeben. Alles hat diesen Glanz der unbeschreiblichen Lebendigkeit, dieses Leuchten, das einem unter die Haut geht. Der Wind weht mir um die Ohren und lässt mich die Luft am ganzen Körper spüren. Und der Regen, der bald kommen wird, gibt der Luft einen wunderbar erfrischenden Duft. Ich atme tief ein und aus, ein und aus und fühle mich, als könnte ich von meinem Leben davonlaufen. Ich laufe immer weiter und weiter, bis mein Atem schwerer wird und meine Beine müde.

Mitten auf dem Weg frage ich mich, wohin ich laufe, wozu ich laufe. Dann laufe ich einfach schneller, im Schutz der Bäume, die links und rechts von mir eine Allee mit einem grünen Blätterdach bilden. Jetzt, wo ich einfach nur einen Fuß vor den anderen setze, ein und aus atme und alles hinter mir lasse, komme ich mir selbst mit jedem Schritt näher. Ich laufe von meinem Leben nur für einen Moment weg, um es aus der Weite zu betrachten.

Die frische Luft, die ich mit jedem Atemzug aufnehme, macht das Bild in meinem Kopf klarer. Hier, nur ein paar Kilometer von Zuhause entfernt, kommt es mir doch vor, als wäre ich ganz weit weg. Mein Dorf sieht von hier aus betrachtet aus wie eine Spielzeugwelt. Von hier aus betrachtet ist alles zugleich unbedeutend und voller Bedeutung. Auf mich kommt eine Steigung zu, ich fühle, dass meine Füße schwer werden, hole tief Luft und renne so schnell ich kann. In der Anstrengung spüre ich das Leben durch meine Adern fließen: Schönheit, Traurigkeit, Lebensfreude, Wut, Ehrgeiz, Liebe, Verzweiflung, Glück. All diese Gefühle geben mir für diesen Moment Kraft und ich kämpfe gegen den Widerstand, mit den Augen fest fixiert auf das Ziel. Oben am Berg angekommen bin ich dann völlig erschöpft, bleibe kurz stehen, schnappe laut nach Luft, spüre das Stechen in meinen Lungen und mein Herz wie wild pochen. Ich muss lächeln, denn ich fühle, dass auf dem bisherigen Weg mehr von mir abgefallen ist, als nur Kraft und Schweißtropfen. Ich laufe weiter und spüre wie sich mein Puls langsam wieder beruhigt. Ich allein, mein Inneres, mein Herz und meine Seele, das ist es was zählt. Erst jetzt, da ich meine Gedanken nur auf mich richte, auf meinen Atem und meinen Körper, wird mir bewusst, wie wenig Aufmerksamkeit und Liebe ich mir selbst in letzter Zeit geschenkt hatte.

Es hat zehn Kilometer gebraucht, zu mir selbst zu finden. Aber als ich Zuhause ankomme, bin ich wieder ganz.

2 Kommentare

  1. Trotz regnerischen Wetter habe ich mich gestern auch wieder aufgemacht und bin eine Stunde durch Wald und Wiese gejoggt …
    Mirjam deine Artikel sind sehr schön geschrieben ; und erst die leckeren Rezept 🙂 toll, mach weiter so!

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